STUTTGARTER NACHRICHTEN/21.02.2008/THURSDAY
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Ausstellungseröffnung im Leonberger Rathaus: “Karikatur in der Migration – Migration in der Karikatur”
Leonberg. Eine Karikatur des Propheten Mohammed hat religiöse Fundamentalisten aufgebracht. Es geht auch anders: Ein Türke hat zu einem Karikaturenwettbewerb aufgerufen und 300 Zeichner aus 60 Ländern machten mit. Die Werke sind nun im Leonberger Rathaus zu sehen.
Von Rebecca Fritzsche
Der Chefredakteur der deutsch-türkischen Satirezeitschrift “Don Quichotte”, Erdogan Karayel (siehe “Drei Fragen an”) hatte den Wettbewerb initiiert, das Plakatmotiv entworfen und eigene Zeichnungen zur Ausstellung beigesteuert. “Ich möchte eine Brücke zwischen Migranten und Deutschen sein”, sagte er in seiner Eröffnungsrede, gab sich aber auch bescheiden: “Der Hauptredner sind die Karikaturen.”
Oberbürgermeister Bernhard Schuler begrüßte das “internationale Publikum” im Rathausfoyer, beispielsweise die Vertreter des französischen und türkischen Generalkonsulats. Schuler sah die Ausstellung als einen Beitrag zum “vernünftigen Zusammenleben von Menschen unterschiedlichster Herkunft” in Leonberg und lobte die “Beteiligung der Immigranten am kommunalen Leben”. Er betonte aber auch, wie wichtig es sei, als Einwanderer Deutsch zu lernen.
Die 14-jährige Gymnasiastin Lia Dima, die zwei Stücke auf dem Saxofon vortrug, sah das genauso: “Die Sprache zu lernen, ist das Allerwichtigste überhaupt”, sagte sie am Rande der Veranstaltung. Die ausgestellten Bilder fanden auch das Interesse der aufgeweckten Jugendlichen: “Die Bilder und das Thema betreffen mich auch”, sagte die Tochter griechischer Einwanderer.
Die ausgestellten Werke reichen von einfachen Skizzen über voll ausgemalte Comicstrips bis zu Collagen. Die Zeichnung von Angel Boligan aus Mexiko zeigt einen Baum, der sich mit einer Axt kurzerhand die beiden Stämme durchgehackt hat und wegläuft, während die Wurzeln im Boden zurückbleiben. Auf der Karikatur von Sevket Yalaz aus der Türkei ist die Entscheidung zwischen Herz und Verstand zu sehen: Ein Mann, die Hände voller Koffer und Taschen, geht über eine hölzerne Brücke auf ein großes Gehirn zu. An dem Ende der Brücke, das der Mann verlassen hat, liegt ein blutrotes Herz.
Abgesehen von diesen metaphorischen Bildern, gibt es auch Karikaturen, die aktuelles Weltgeschehen beleuchten. Der Marokkaner Naji Benaji lässt (noch) hoffnungsfrohe Auswanderer über das Meer rudern – nur sitzen sie nicht in einem Boot, sondern in einem Sarg. Das Abschiednehmen und Zurücklassen ist ein Thema in vielen der ausgestellten Karikaturen.
Auf der Zeichnung von Askin Ayrancioglu aus der Türkei verlässt ein Mann mit blutendem Arm sein Häuschen, während seine abgehackte Hand neben der Tür mit einem Taschentuch winkt. Stefan Despodov aus Bulgarien stellt einen Auswanderer dar, der Frau und Kind verlässt, während sein Schatten, die beiden umarmend, zurückbleibt.
Die Ausstellung “Karikatur in der Migration – Migration in der Karikatur” ist bis 18. März im Foyer des Neuen Rathauses werktags zu den normalen Öffnungszeiten zu sehen.
Link:
http://www.leonberger-kreiszeitung.de/stz/page/detail.php/1641011
“Ich bin auch ein Migrationsvogel”
DREI FRAGEN AN
1. Wie zufrieden sind Sie mit dem Ausgang des von Ihnen angestoßenen Wettbewerbes?
Ich bin glücklich über die Vielfältigkeit des Wettbewerbs. Aus 60 Ländern haben 365 Karikaturisten mit 1000 Zeichnungen teilgenommen, und die Ausstellung zum Wettbewerb war schon in verschiedenen Städten zu Gast, aber auch in Berlin und Istanbul. Damit ist dieser zweite Karikaturenwettbewerb größer als der erste – für den hatten wir allerdings auch nur zwei Monate Zeit.
2. Haben Sie angesichts dieser Fülle in Ihrer Ausstellung auch ein persönliches Lieblingsbild gefunden?
Da gibt es einige – besonders berührt mich aber die Zeichnung, die den zweiten Preis gewonnen hat, von Massoud Ziaei aus dem Iran. Da ist ein Mann zu sehen, der mit großen Schritten auf eine Grenze zugeht. Seine Fußabdrücke sind riesig. Kaum überschreitet er die Grenze, werden seine Fußabdrücke winzig klein, sein Selbstbewusstsein, er selbst.
3. Sie haben das Ausstellungsplakat gezeichnet. Was bedeutet das Thema Migration für Sie?
Mit dem Plakatmotiv möchte ich die Stimme des Wettbewerbs sein. Das Thema Migration betrifft auch mich persönlich, da ich erst seit fünf Jahren in Deutschland lebe. Auf dem Plakat ist ein Schwarm von Migrationsvögeln zu sehen, die mit ihren Koffern in neue Länder fliegen. Einer von diesen Migrationsvögeln bin ich. Siehe Artikel “Abschied…”
Erdogan Karayel, Chefredakteur der deutsch-türkischen Satirezeitschrift “Don Quichotte” und Initiator des 2. Karikaturenwettbewerbes, staunt immer noch über die Resonanz, hat Rebecca Fritzsche erfahren.